Darja Linder, Kitsch und Klischee, 2022, Foto: Darja Linder
Darja Linder, Kitsch und Klischee, 2022, Foto: Darja Linder

Mehr als die Summe zweier Welten

Darja Linder verarbeitet das Schicksal der jungen Generation der "Russlanddeutschen". Ihre aktuellen Bilder sind frech, humorvoll und selbstbewusst und verraten doch Selbstzweifel.

Darja Linder (geb. 1992 in Thälmanskij, Russland) studierte von 2012 bis 2019 Deutsch und Bildende Kunst an der Universität des Saarlandes und von 2017 bis 2019 Freie Kunst an der der Hochschule der Bildenden Künste Saar und war Meisterschülerin bei Gabriele Langendorf.

Linder malt streng gegenständlich, spannend sind ihre Arbeiten oftmals wegen der gewählten Motive, die sich entlang der Themen der Menschen ihrer Generation bewegen. Identität, Sexualität, gesellschaftliche Normen und Weiblichkeit sind ihre Themen. Nicht ohne Humor fordert Linder weibliche Selbstbestimmung ein und begehrt gegen die Konsumgesellschaft auf. Aus den anfangs eher in gedeckten Farben gehaltenen Ölgemälden sind inzwischen farbenfrohe Werke geworden.

Geradezu zum Synonym für die jungen Künstlerinnen der SaarART wurde als Plakat- und Werbebild „Kitsch und Klischee“ aus dem Jahr 2022. Es ist Teil er Serie „Post-Ost“. Linder malt sich lässig in einem Klappstuhl fläzend mit Schlabberhose und Badelatschen. Die Brüste sind hinter Diddlmäusen versteckt, um die Protagonistin herum verstreut sind rote Rosen, Matrjoschka-Puppen und Trash-TV. Die ganze Szene ist in einen psychedelisch-bunten Hintergrund getaucht.  Das Muster der Hose erinnert an die „Aussiedlertasche“, mit der viele deutschstämmige Menschen aus Russland nach Deutschland kamen. Die riesigen Plastiktaschen mit rot-blau-weißem Muster wurde lange mit den Aussiedlern assoziiert und waren häufig mit Armut assoziiert. Der Grund war allerdings nicht, dass sich die Menschen keine Koffer leisten konnten. Erlaubt waren nur 25 kg Gepäck und dadurch, dass die Taschen so groß, leicht und robust waren, eigneten sie sich perfekt als Reisegepäck. Linder trägt es selbstbewusst als Modestück.

Das Bild symbolisiert die Lebensgeschichte vieler „Mitgenommenen“, jener jungen Generation von russland-deutschen Aussiedlern, die noch in Russland geboren wurden, dann aber als Kinder vor allem in den 1990er Jahren mit den Eltern nach Deutschland kamen und hier aufwuchsen. In Russland waren sie die Deutschen, in Deutschland die Russen. Entwurzelt und nirgendwo zugehörig, mussten viele von ihnen auf eine lange Suche nach der eigenen Identität gehen. Dieses Fremdheitsgefühl führte nicht selten dazu, sich weder hier noch dort zuhause zu fühlen und heimatlos zu sein. Aus Enttäuschung über die Ablehnung in der sehnsuchtsvoll herbeigesehnten Heimat, wurde die alte verklärt. Die jungen Deutschen mit Migrationshintergrund sitzen zwischen den Stühlen.

„Kitsch und Klischee“ ist eine Darstellung dieser Ambivalenz. Es ist eine Mischung aus angeeigneten Klischees und intensiven Erfahrungen und Sinneseindrücken. Linders russische Vorstellung von Schönheit mit Rosen, Rüschen und Schleifen traf auf deutschen Kitsch und deutsches Fernsehen. Sie eignete sich beide Welten an und muss wohl feststellen, sie ist Russin und Deutsche und doch viel mehr als nur die Summe beider Welten. 

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Vorheriger Artikel

Die alltägliche Gefahr

Gertrud Riethmüller, Installationsansicht in der Modernen Galerie, Foto: Bülent Gündüz
Nächster Artikel

Eine Gesellschaft in Auflösung

Nach oben

Don't Miss

Was bleibt?

Nun ist die SaarART 2023 Geschichte.
Lisa Marie Schmitt, Alexandru Mihai Budeṣ, 30 de ani de Optimism“, Ausstellungsansicht

Von Hoffnung und Enttäuschung

Im Jahr 2021 erhielt Lisa Marie