Betritt man den Ausstellungsaal in der Modernen Galerie, dann fällt gleich links in der Ecke ein breites Ensemble aus Baueimern auf. Es gibt wohl kaum einen Gegenstand, den man hier weniger erwartet hatte und es wirkt ein bisschen so, als würde gerade im Raum gearbeitet.
Erschaffen hat die Installation „Kostbare Illusion“ (2021) Gertrud Riethmüller (geb. 1961 in Niedermendig). Ab 1991 studierte sie Neue Medien bei Ulrike Rosenbach an der HBKsaar, bei der sie 1998 auch Meisterschülerin war. Riethmüller arbeitet mit einem Schwerpunkt auf Video, Performance und Installation, seltener auch bildhauerisch.
Mit einem Seitenschneider hat Riethmüller aus handelsüblichen Baueimern so viel Material herausgeschnitten, dass nur ein filigranes ornamentales Muster im Material stehen blieb. Aus dem einfachen Industrieprodukt für wenig Geld wird ein Kunstobjekt, das sich nur wenige leisten können. In strengen Kontrast dazu stehen die Eimer, die als gebrauchte Originale dazwischenstehen. Sie zeigen Abriebspuren und Reste von Zement und erinnern an das Ausgangsobjekt, zugleich zeigen sie Spuren des Arbeitsprozesses der Handwerker, die täglich unter oftmals harten Arbeitsbedingungen schuften müssen.
An der hinteren Wand entfaltet sich eine geklöppelte Spitze, die fragmentarisch scheint und in Auflösung begriffen ist. Sie besteht allerdings nicht aus feinem weißem Garn, sondern aus Audiokabeln, die schließlich aus dem Geflecht kriechen und in Lautsprechern auf dem Boden enden. Aus den Lautsprechern klingen Erzählungen, historische Texte und Umgebungsgeräusche. Diese sollen die verschiedenen Bedeutungsebenen beleuchten: die hochentwickelte Handwerkskunst des Klöppelns, die prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen der Klöpplerinnen und die Lebensweise des Adels und kirchlicher Würdenträger als Träger der Spitzen. Die Installation thematisiert die unterschiedlichen Lebensformen einer elitären Gesellschaftsschicht, die das Tragerecht der Spitzen als Status und Machtsymbol für sich beanspruchten, und den lohnabhängigen Arbeitskräften, die unter prekären Bedingungen lebten und arbeiteten.
Riethmüllers Thema ist die Veränderung und Auflösung von gesellschaftlichen Strukturen, wie sie auch nach der Französischen Revolution stattfand. Die Künstlerin zieht Vergleiche zur Situation heute. Verbindungen lösen sich auf, gewachsene Gefüge verlieren ihren Halt und ihre Bedeutung. Während die Geräusche vor allem die Verbindung zur heutigen Arbeitswelt schaffen, ist das sich auflösende Gewebe Symbol einer tief verunsicherten Gesellschaft in Auflösung.