Ausstellungsansicht, Gregor Hildebrandt, "Abbé Faria" (links) und "Edmond Dantes", Foto: Bülent Gündüz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Ausstellungsansicht, Gregor Hildebrandt, "Abbé Faria" (links) und "Edmond Dantes", Foto: Bülent Gündüz, © VG Bild-Kunst, Bonn 2023
28. Juli 2023

Verschlüsselte Emotionen

Gregor Hildebrandt macht aus Magnetbändern atemberaubende Kunst, die Rätsel aufgibt.

Gregor Hildebrandt gehört zu den bekanntesten deutschen Künstlern der Gegenwart. Zu verdanken hat er das vor allem der Idee zur Nutzung eines ungewöhnlichen Materials, mit dem er arbeitet. Hildebrandt nutzt Video- und Kassettenbänder, aber auch Vinylschallplatten und Kassettenhüllen.

Anfangs klebte der in Berlin lebende Künstler die Bänder dicht an dicht auf Leinwände. Es entstanden spiegelglatte, schwarz schimmernde Oberfläche aus Magnetbändern. Immer wieder gibt es Bezüge zu Musik und Film und der im Saarland aufgewachsene Künstler verwebt optische und auditive Eindrücke. Die Inhalte der Tonbänder sind zwar nicht hörbar, aber durch die Titelgebung vorstellbar. So bereichert das Gespeicherte die visuellen und narrativen Elemente um eine emotionale Ebene. Hildebrandts abstrakt-expressionistische Monumentalwerke sind ein wahrer Augenschmaus sind.

Damit schafft er minimalistische Tafelbilder, Fotoarbeiten und raumgreifende Installationen. Neben der ästhetischen gibt es immer auch eine unsichtbare inhaltliche Ebene, denn die schwarz schimmernden Magnetbänder sind mit Musik bespielt. Diese klebt Hildebrandt zu Tausenden auf Leinwände und erzeugt streng lineare Muster oder geometrische Formen. Ein magisches Leuchten scheint von den Werken auszugehen und Tiefe zu suggerieren. Ob und was auf den Kassettenbändern zu hören ist, bleibt Hildebrandts Geheimnis, der Künstler verrät aber, dass es eine subjektive und autobiografische Auswahl gibt. Verifizieren lässt sich das nicht, die Musikbänder sind weder hör- noch abspielbar. Das lässt viel Spielraum für Assoziationen.

Die Titel der Werke sind meist Literatur oder Musiktexten entnommen und bieten weitere Möglichkeiten für eigene Gedankengänge. Und schließlich ist da immer auch die Spieglung des Raumes und der Betrachterin/des Betrachters in den glänzenden Flächen. 

Für Skulpturen formt er Schallplatten zu Schalen und stapelt sie zu raumfüllenden Säulen und Wänden. Die Kassettenhüllen dienen als Träger für Fotografien, die Hildebrandt zerschneidet, in die Rücken der Hüllen steckt und dann streng gerastert anordnet. Auch hier finden sich Bezüge zu Popkultur und Kunstgeschichte. Hildebrandts Bezüge zu Musik, Film und Literatur und der eigenen Biografie machen die Werke zu komplexen Montagen, in denen sich Bild- und Tonassoziationen verbinden und durchdringen.

Gregor Hildebrandt, Abbé Faria, 2022, Foto: Gregor Hildebrandt, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

In seinen neuesten Arbeiten geht Hildebrandt den Weg weiter. Die Verschleierung des Inhalts nimmt zu, die Bänder sind äußerlich kaum noch als solche zu erkennen. Nur das gebänderte Muster im Hintergrund ist erhalten. Doch Hildebrandt bemalt die Oberfläche inzwischen mit gestischen Abstraktionen und wird damit in seinen Emotionen offener.

Abbé Faria ist auf VHS-Tape gemalt. Die Figur taucht im Roman „Der Graf von Monte Christo“ auf. Doch Abbé Faria ist keine literarische Figur, er existierte als reale Persönlichkeit im 18./19. Jahrhundert und war ein portugiesischer Priester, der als Begründer der dynamischen Psychiatrie gilt.

Dass die Spur zum „Grafen von Monte Christo“ führt, beweist das Bild daneben: „Edmont Dantes“. Dantes ist der Hauptprotagonist in Alexandre Dumas‘ Roman und freundet sich während der Kerkerhaft mit Abbé Faria an. Wie schon zuvor wissen wir nicht, was auf dem Band ist und auch nicht, wie die Malerei entstand. Stellt Hildebrandt seine Gefühle beim Anschauen des Films dar oder seine persönliche und emotionale Sicht auf die Freundschaft der beiden literarischen Figuren? Oder sind die Gemälde Ausdruck der beiden Figuren? Vielleicht auch ein bisschen von allem? Wir wissen es nicht und gerade das macht es so spannend, den es zwingt zu eigenen Gedanken. 

Website: https://www.gregorhildebrandt.com

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