Eingang zur Raststätte "Goldene Bremm", Foto: Bülent Gündüz
Eingang zur Raststätte "Goldene Bremm", Foto: Bülent Gündüz
3. Juli 2023

Zurück ins Bewusstsein

Das Kollektiv Bremm gestaltet künstlerisch einen temporären Ort der Begegnung im Grenzraum.

Etwas ominös klang bei der Pressekonferenz im vergangenen Jahr zur Verkündung der Teilnehmer*innen der SaarART 2023 die Position „Stefan Ochs und Kollektiv Bremm“. Stefan Ochs dürften viele Saarländer*innen als Architekten und Professor der htw saar kennen. Aber wer ist das „Kollektiv Bremm“? Kondensationskern ist das IBA-Werkstattlabor, das in den letzten Jahren die Möglichkeiten einer Internationalen Bauausstellung (IBA) in der Großregion ausloten sollte. Dazu gehören Stefan Ochs als Leiter, außerdem Jannik Aulenbacher (Projektleiter Kollektiv), Alexandra Schartner, Marc Backes und Fabienne Grund.

Ihre Idee: Den Grenzraum „Goldene Bremm“ für die Dauer der SaarART sichtbar zu machen und zurück in das Bewusstsein der Menschen zu holen. Das SaarART-Motto „Au rendez-vous des amis“ nehmen sie wörtlich und gestalteten einen temporären Ort der Begegnung im Grenzraum. Es ist einer der spannendsten Beitrage dieser SaarART geworden, weil es die Kunst direkt in den soziokulturellen Raum setzt und einen fast schon magischen Ort geschaffen hat, der ganz viel erzählt.

Es ist erstaunlich, wie sehr sich der Ort in wenigen Tagen verändert hat. Die OSB-Platten sind zum Teil in Weiß gestrichen, an der Raststätte Goldene Bremm ist sogar ein farbiges Wandgemälde aufgebracht. Die Bauzäune, die jeden Zugang abriegelten, sind größtenteils verschwunden. Es ist sauber, der penetrante Uringeruch weg, der Müll entsorgt und die Vegetation etwas zurückgedrängt. Schon das wirkt alles freundlicher als zuvor und macht diesen Ort im Nirgendwo ein bisschen besser.

Lukas Ratius dokumentiert den Alltag der Fernfahrer*innen

Lukas Radius, Fotoserie „Auch Nomaden machen Rast“ 2023

Der Fotograf Lukas Ratius zeigt am ehemaligen Bistro auf der Nordseite in der Serie „Auch Nomaden machen Rast“ Fotografien von Fernfahrern, die er mehrfach an der Raststätte Goldenen Bremm besucht hat. Er hat mit ihnen gesprochen, sie haben ihn zum Tee oder zum Essen eingeladen. Eindrücklich erzählen seine Fotografien vom Leben der unter prekären Bedingungen Beschäftigten, die für unseren Wohlstand fern ihrer Familien schuften müssen. Ratius dokumentiert ihren Alltag an der Grenze, wenn Ruhezeiten und Sonntagsfahrverbote die Fahrer für ein paar Momente zur Ruhe kommen lassen. In Europa fehlen Hundert­tausende Fahrer*innen. Der enorme Mangel wird durch Arbeits­migrant*innen aus Osteuropa, der Ukraine, Kasachstan, bis nach Pakistan und Indien gestillt. Die Arbeits­bedingungen sind hart und das Abhängigkeits­verhältnis zu den Speditionen ist groß. Berichte über prekäre Arbeits­verhältnisse häufen sich, das öffent­liche Interesse für die Situation der Betroffenen ist gering.

Florian Budke wertet die Unterführung auf

Florian Budde, „Unding bounderies – Grenzen rückgängig machen“, 2023

Durch die Unterführung geht es unter der Autobahn hindurch auf die andere Seite. In der Unterführung durfte sich Florian Budke austoben. Der Architekt und Kommunikationsdesigner arbeitet mit großflächigen Bildern im öffentlichen Raum. Budke kombiniert in „Undoing bounderies – Grenzen rückgängig machen“ Elemente des Grafikdesigns, kräftige Farben und Architektur mit dem soziokulturellen Raum.

Aus der tristen, gefliesten Unterführung hat er einen spannenden Ort gemacht. Es macht wieder Spaß, durch die Unterführung zu laufen und wahrscheinlich wird der „Angstraum“ damit ein bisschen kleiner, denn die Unterführung wirkt nicht mehr ganz so beklemmend wie zuvor. Die Wände zieren einfache geometrische Formen und grafische Symbole in Grasgrün, der Boden ist in Rot und Weiß gehalten.


Mane Hellenthal und Ulrich Behr schaffen Aufmerksamkeit für die Situation der Fernfahrer*innen

Mane Hellenthal und Ulrich Behr, „Peninsula – Unser Garten“, 2023

Auch der Südseite der Autobahn gibt es einen Rastplatz. Hier liegt die Raststätte „Goldenen Bremm“, die 1968/69 während des Ausbaus der A20 (heute A6) nach Plänen des Saarländischen Architekten Walter Schrempf errichtet wurde. Mit dem Wegfall der Grenzbeschränkungen im Zuge des Schengener Abkommens und der europäischen Integration ging das Gastaufkommen stark zurück und die Gaststätte verlor an Bedeutung. Im Jahr 2001 wurde sie geschlossen. Seither steht das Gebäude leer, die Außenanlagen werden von Brombeeren und Efeu überwuchert, überall liegt Müll herum, Bauzäune sichern das Gelände.

Mane Hellenthal und Ulrich Behr bespielen die Gaststätte und haben sie aus dem Tiefschlaf geholt („Peninsula – Unser Garten“). Die Front im Erdgeschoss vor der ehemaligen Wechselstube wird von großen OSB-Platten geschützt. Hier haben die beiden Künstler*innen ein abstraktes Gemälde aufgebacht, welches das Innere des Gebäudes mit dem kunstvoll gestalteten Treppenhaus nach außen spiegelt. Eine wirkmächtige Arbeit. Davor haben sie den Garten rekultiviert. Das Gestrüpp ist weg, gelbe Bänke laden zum Verweilen ein und ein Naschgarten mit Erdbeeren soll die LKW-Fahrer*innen einladen, hier ihre Pause zu verbringen. Hellenthal und Behr haben einen soziokulturellen Raum geschaffen, der den Fernfahrer*innen ein Stück lebenswerten Raum abseits der tristen Parkplatzsituation zurückgibt. Wie Ratius wollen sie auf die prekäre Situation der Fahrer*innen aufmerksam machen und zugleich deren Situation ein kleines bisschen verbessern.

Grenze Plus lenkt den Blick auf die subjektive Wahrnehmung der Grenze

Künstlerkollektiv „Grenze Plus“ (Malik al Bosta, Clemens Möhler, Frederic Omlor, Lucien Schmidt-Berteau), Detail von „nebenan“, 2023

Oberhalb des Gebäudes verläuft die Straße „Zum Zollstock“ zwischen der Goldenen Bremm und Spicheren. Direkt hinter der Straße beginnt das französische Staatsgebiet. Auf dem Grenzverlauf hat das Künstlerkollektiv „Grenze Plus“ (Malik al Bosta, Clemens Möhler, Frederic Omlor, Lucien Schmidt-Berteau) mit „nebenan“ fünf Farb- und Spiegelobjekte gesetzt.

Sie markieren nicht nur auffällig die Grenze und führen sie so zurück in unser Bewusstsein, sie lenken den Blick auf die subjektive Wahrnehmung der Grenzsituation. Spieglungen, Farbakzente und Durchblicke setzen den Raum in Bezug zur eigenen Person. Schnell wird beim Betrachten am Straßenrand bewusst, wie nah die Grenze doch noch ist und wie wenig sie noch eine Rolle in unserem Alltag spielt. Was bedeutet die Grenze heute überhaupt noch? Wir bezahlen mit dem gleichen Geld, haben eine ähnliche Kultur und selbst die wirtschaftlichen und sozialen Probleme sind ähnlich. Unterscheidet uns nur noch die Sprache?


Véronique Verdet setzt sie ein Zeichen gegen das Vergessen

Véronique Verdet, „Sie haben uns alles genommen – selbst die Farben“, 2023

Die wohl schwierigste Aufgabe hatte die Saarbrücker Künstlerin Véronique Verdet. Die Goldenen Bremm ist nicht nur einfach ein Grenzübergang, sondern ein Ort mit einer sehr wechselvollen Geschichte. Hier tobten die Schlachten des Deutsch-Französischen Krieges, aber auch des Ersten und Zweiten Weltkrieges. An der Metzer Straße lag einst auch das Gestapo-Lager „Neue Bremm“. Im Jahr 1940 als Arbeitslager für Fremd- und Zwangsarbeiter sowie Kriegsgefangene betrieben, diente es im Jahr 1944 dann als „Erweitertes Polizeigefängnis“. Die Baracken sind nicht erhalten. Einzig ein Löschteich ist noch sichtbar, dazu einige Fundamente der Baracken des Männerlagers. Über dem ehemaligen Frauenlager wurde später ein Hotel errichtet. Ein schlanker Obelisk mit Gedenktafel erinnert an die Greueltaten im Lager, das Gelände des Männerlagers wird „versteckt“ von einer Sichtbetonwand mit Schriftzug, der auf die sprachliche Nähe von Gastfreundschaft und Haft hinweist. Eine würdige Erinnerung sieht anders aus.  

Véronique Verdet möchte dies ändern und den Gedenkort zurück in das Bewusstsein der Menschen bringen. Wie ein Fanal setzt sie zehn Flaggen in die Nähe des Obelisken gegenüber der Gedenkstätte. Die Farben und Symbole der Grafik beziehen sich auf die Kennzeichnung der Inhaftierten in den Konzentrationslagern des Nazi­regimes. Mit farbigen „Winkeln“ (Dreiecke) wurden die Insassen gekennzeichnet: rot für die politischen Häftlinge, grün für Kriminelle, blau für Emigranten, die nach ihrer Auswanderung wieder in den Machtbereich des Deutschen Reiches kamen, violett für „Bibelforscher“ (vor allem Zeugen Jehovas und Adventisten), rosa für Homosexuelle, schwarz für Asoziale (Menschen aus Randgruppen der Gesellschaft) und Gelb für „Rasseschänder“ bzw. bei zwei gelben Winkeln, die aufeinandergesetzt waren und einen Judenstern bildeten, ein Hinweis auf die jüdische Abstammung. Mit „Sie haben uns alles genommen – selbst die Farben“ setzt Verdet ein starkes Zeichen gegen das Vergessen.

Websites: https://kollektivbremm.eu

Instagram: https://www.instagram.com/kollektivbremm/

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