"august", Tusche, Interferenzpigmente, Acryl auf Leinwand, 100 x 120 cm, 2022, Foto: Gisela Zimmermann
"august", Tusche, Interferenzpigmente, Acryl auf Leinwand, 100 x 120 cm, 2022, Foto: Gisela Zimmermann
11. Mai 2023

Wabernde Farbwelten

Gisela Zimmermann zeigt im Museum St. Wendel einige aktuelle Arbeiten und schwelgt in Farbe.

Gisela Zimmermann hat ein bewegtes berufliches Leben. Im Jahr 1965 in Merzig geboren, machte sie nach dem Schulabschluss von 1981 bis 1984 eine Kürschnerlehre und arbeitete als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft. Zeitgleich holte sie abends den Realschulabschluss und die Fachhochschulreife nach und studierte schließlich Diplom-Sozialarbeit an der Fachhochschule. Mit dem Abschluss in Sozialarbeit im Jahr 1998 arbeitete in ihrem Beruf als Sozialarbeiterin. Zweimal bewarb sich Zimmermann in diesen Jahren an der Kunsthochschule und wurde abgehend. „Zu wenig formbar“ beurteilten die Professor*innen der HBK die Mappe der Künstlerin. Eigentlich ein Lob, denn es beschreibt eine Künstlerin, die künstlerisch viel kann und einige Lebenserfahrung mitbringt. Im Jahr 2004 bewarb sie sich mit 39 Jahren erneut und wurde endlich angenommen. Bis zum Diplom im Jahr 2009 studierte sie in Saarbrücken bei Bodo Baumgarten und Gabriele Langendorf und war Meisterschülerin von Langendorf. Noch 2009 begann sie eine Studienvertiefung im Bereich Licht- und Rauminstallation bei Daniel Hausig und Claudia Brieske. Schon in ihrer Diplomarbeit hatte sie Malerei mit Licht, Raum und Musik kombiniert.

Gisela Zimmermann in ihrem Atelier, Foto: Bülent Gündüz
Gisela Zimmermann in ihrem Atelier, Foto: Bülent Gündüz

Schon während des Studiums arbeitete Zimmermann mit Acrylfarbe, Tusche und Lack und entwarf dynamische Farbräume in gestischem Duktus. Auf Vorschlag von HBK-Gastprofessor Oliver Kossack wechselte sie vom Klein- auf das Großformat. Die Farben sind breit aufgetragen, der Pinselstrich bleibt sichtbar. Die flüssig aufgetragenen Farben berühren sich, überlappen sich an den Grenzen und laufen ineinander. Manchmal wird die Leinwand gekippt und die Farbe läuft den Malgrund hinab. Immer wieder setzte die Künstlerin wuchtige Linien in die Farbnebel, es drängen sich Assoziationen an Landschaften auf, Architektur und Räume werden sichtbar und bleiben doch nur angedeutet.

Die Gemälde jener Zeit offenbaren einen virtuosen Umgang mit dem Material, das Zimmermann nach Belieben zu beherrschen scheint. In den folgenden Jahren experimentierte die Künstlerin fiel. So nutzt sie bis heute Chromoluxpapiere mit metallisch schimmernder Oberfläche als Malgrund. Anders als die Leinwand verhindert das glatte Papier ein Aufsaugen der Farbe, sodass die Farben stark ineinander und auf dem Papier verlaufen. Manchmal hat Zimmermann sie auch gespritzt. Liniengewitter kriechen häufig autonom durch das Bild. Titel vergibt Zimmermann nicht, meist tragen die Arbeiten kryptische Kürzel aus Buchstaben, die den Entstehungsort repräsentieren, gefolgt von Ziffern, die für Entstehungsmonat und -jahr stehen, und für die verwendeten Materialien. Als Rezipient hat man kaum eine Möglichkeit zur Identifikation der Bildinhalte, wenn es sie denn überhaupt gibt.

In den 2010er Jahre verstärkte Zimmermann die Lineamente, welche die losen Farbnebel und den gestischen Auftrag brachen. Die schnurgeraden Linien stehen im Kontrast zu den Farbverläufen. Orthogonale Elemente tauchen auf und rechtwinklige Abschattungen. Perspektive und Raum bestimmen die Werke jener Jahre. Ab 2017 ging Zimmermann diese Entwicklung weiter und arbeitete fast schon im Stil des Suprematismus. Da steht das Liniengewirr vor nahezu monochromen Bildhintergründen, „Schattenlinien“ verstärken den Kontrast zwischen Bildhintergrund und Lineamenten. Die Strukturen scheinen geheimnisvoll zu leuchten. Rauchig der Farbauftrag an vielen Stellen, sodass der Eindruck sich auflösender Strukturen entsteht.

Im Jahr 2018 tauchten plötzlich technisch erscheinende und an Platinen erinnernde Strukturen auf. Immer wieder versank Zimmermann aber in Abstraktionen, die von Linien geprägt sind und die Farbe feiern. Beiden Werkkomplexen immanent ist der Umgang mit Farbe. Die scheint als Material immer stärker zur zentralen Bildaussage zu werden. Dabei ist das Spiel mit den Eigenschaften des Materials intensiver geworden. Aus Farbnebeln heben sich immer wieder magisch leuchtende Dunkelräume mit orthogonalen Liniengeflechten oder technische Strukturen, die an Rohre oder urbane Räume erinnern und oft bedrohlich wirken. Während die Farbnebel vor allem mit Tusche und gesprühter Farbe entstehen, sind die gegenständlichen Bildelemente Ergebnis von Schablonentechnik und Abklebungen. 

Zum Ende der Dekade löste sich Zimmermann zunehmend von den Linien und schwelgt seither in Farbe. Die Bilder sind weitgehend strukturlos. Zumindest auf den ersten Blick. Schaut man genauer hin, so nimmt man doch Bildinhalte war, auch wenn diese eher Assoziationen sind als tatsächlich Sujets. Zimmermann beginnt die Bilder mit einer dunklen Grundierung und bringt dann Farben mit dem Pinsel auf. Die Spuren bleiben erkennbar, auch wenn sie nicht auf den ersten Blick als solche auffallen. So sind die Linien aus Punkten und kurzen Strichen mit breiten Pinseln auf getupft. Derzeit gehören zu ihren präferierten Materialien Interferenzpigmente. Das sind Effektpigmente, welche das Licht je nach Betrachtungswinkel unterschiedlich brechen. Die Bewegung des Betrachters ist immanenter Bestandteil des Erfassens der Werke. In den Arbeiten kann man sich schnell verlieren. Man geht von links nach rechts, nähert sich dem Werk an und bewegt sich wieder davon weg. Wo es gerade noch Grün schillerte, bleibt plötzlich nichts mehr, dafür leuchtet an einer anderen Stelle ein Violett- oder Purpurton auf. Die Farben funkeln auf und verglimmen. Matte Stellen entstehen, wo sich die Farbe sammelte und eintrocknet. Man meint Landschaften wahrzunehmen, Spiegelungen im Wasser. Das Auge versucht, sich an etwas festzuhalten und scheitert doch mit jeder Veränderung der eigenen Position.

Auch für Zimmermann sind die Bilder abstrakt, sie beginnt ohne feste Vorstellung zu malen und doch sind da Assoziationen bei ihr, die sie im Malprozess verstärkt. Intuitiv-impulsive Improvisation könnte man diesen Malakt vielleicht nennen. Innere Bilder, Stimmungen, Gefühle und Geschichten trägt Zimmermann so auf den Malgrund. Häufig spielt die gehörte Musik eine Rolle, die sie während des Malens hört.

Die konkret erkennbare äußere Form ist für die Malerin nicht entscheidend. Ein Spiel aus Zufall und Kontrolle ist maßgeblich für den Entstehungsprozess. Die Bildträger werden vor allem liegend bemalt. Das erhöht die Kontrolle auf die Farben. Schnell und langsame Bewegungen sind genauso wichtig wie Kraft und Druck des Pinsels auf den Malgrund das Werk beeinflussen. Der Malakt vollzieht sich mit dem Material. Wann ist ein Bild fertig? Für Zimmermann ist diese Entscheidung durchaus eine Herausforderung, denn der Malprozess könnte mit Übermalungen ewig fortgeführt werden.

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