Tobias Becker dürfte für viele Kunstliebhaber*innen im Saarland eine Neuentdeckung sein. Becker wurde zwar 1991 in Püttlingen geboren, er studierte aber in Mainz, war dort Meisterschüler bei Dieter Kiessling und bei Rosa Barba an der Hochschule der Künste in Bremen. Im Saarland hat er noch nicht ausgestellt.
Im Institut für aktuelle Kunst zeigt Becker zwei Arbeiten aus seinem Portfolio. „A fight to the finish“ ist eine Videoinstallation. Sechs Super-8-Projektoren werfen jeweils ein Bild an die Wand auf ein dickes Tau, das dort horizontal gespannt ist. Jede Projektion zeigt zwei Hände, die an dem Seil ziehen. Drei Mal in die eine Richtung und drei Mal in die andere Richtung. Ein scheinbarer Kampf, denn das Seil bewegt sich nicht und auch die Hände bleiben am Ort. Den wirklichen Wettkampf tragen die Projektoren aus. Sie laufen in Endlosschleife, aber wie lange werden sie durchhalten? Bei einem technischen Defekt, etwa wenn die Lichtquelle ausfällt, wird der jeweilige Projektor an einer Steckdosenleiste abgeschaltet. Welche Projektoren werden bis zum Schluss der Ausstellung durchhalten? Wird es einer schaffen, zweieinhalb Monate am Stück zu laufen?
Becker hinterfragt mit der Arbeit gleich mehrere Dinge. Im Zentrum steht die Frage, wie wir mit Technik umgehen. Was geschieht damit, wenn sie veraltet ist? Die Projektoren haben teilweise bis zu 60 Jahre auf dem Buckel, sind Dachbodenfunde und wurden von Becker liebevoll wieder in Stand gesetzt. Technologie überdauert nicht, sie entwickelt sich stets fort. Was aber machen wir mit der überholten Technik? Welchen Wert hat sie für uns noch?
Beckers Arbeiten bieten kein Narrativ. Er bezieht sich auf die Aussage des Philosophen Medientheoretikers Marshall McLuhan, der einmal postulierte: „Das Medium ist die Botschaft.“ McLuhan meinte damit, dass jedes Medium in spezifischer Weise die menschliche Wahrnehmung und das Denken beeinflusst und mehr ist als der Inhalt, den es transportiert oder einfacher: Wir formen unsere Werkzeuge und dann formen diese uns. Der Künstler hinterfragt, wie uns Technologie prägt und wie der Fortschritt unsere Wahrnehmung beeinflusst.
Beckers Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld analoger und digitaler Medien, die er auf eindrückliche Weise neu kombiniert. Dies tut er auch in seinen Fotografien. Für ihn ist die analoge Fotografie direkter und reeller als die digitale, weil sie das Licht direkt auf dem Film festhält und sich dort „einbrennt“. Die Welt um uns herum wird unmittelbar festgehalten. Das führt auch zu einem anderen Arbeitsverhalten. Analoge Filme und Fotos sind kostbar geworden. Nur noch wenige Anbieter produzieren Super-8-Filme, Kameras oder Fotopapier. Filmrollen sind endlich, mal überlegt sich genau, was man aufnehmen will.Auch Beckers zweite Arbeit ist beeindruckend. Mit ihr beschäftigt er sich mit etwas, was wir jeden Tag nutzen und doch kaum wahrnehmen. Inzwischen gehört die Gesichtserkennung („Face-ID“) zur Standardausrüstung von Smartphones und Tablets. Becker macht diesen Vorgang sichtbar.
Mit dem Viola-Jones-Algorithmus, der 2001 von Paul Viola und Michael Jones entwickelt wurde, erkennen Smartphones Gesichter in Echtzeit. Sie zerlegen diese in geometrische Grundformen und ermitteln eine einzigartige Kombination. Becker macht dieses im Hintergrund ablaufende Verfahren mit einem Programm sichtbar und hält die Tablets im Moment der Gesichtserkennung auf Fotopapier. Gleich mehrere solcher Fotos zeigt er in der Ausstellung und kombiniert diese mit einem Foto in grober Rasterung. Auch dies ist ein unsichtbarer Vorgang, den der Künstler für uns sichtbar macht. Denn zur Gesichtserkennung legt das jeweilige Gerät ein Raster aus Infrarotpunkten auf das Gesicht und die Umgebung. Die Arbeit macht nicht nur sicht- und erfahrbar, was wir täglich nutzen, sie zeigt uns, wie die Maschine uns wahrnimmt. Wir werden zu einem suprematistischen Gemälde „entmenschlicht“ und lösen uns auf in Sensoren.
Instagram: https://www.instagram.com/tobias__becker
Website: http://www.tobiasbecker.website