Leslie Huppert, Detail aus einer Papierbahn, Foto: Bülent Gündüz
Leslie Huppert, Detail aus einer Papierbahn, Foto: Bülent Gündüz

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Leslie Huppert zeigt bei der SaarART 2023 eine spannende Videoarbeit und mehrere Papierbahnen, die sich mit Migration und Vorurteilen befassen und nachdenklich machen.

Leslie Huppert gehört seit vielen Jahren zu den bedeuteten Künstlerinnen des Saarlandes. Geboren wurde sie 1960 in Saarbrücken. Im Jahr 1977 ging die Künstlerin nach Berlin, wo sie ihr Abitur absolvierte. Ab 1981 unternahm sie zahlreiche Reisen rund um den Erdball, bis sie schließlich 1990 ins Saarland zurückkehrte und ein Studium an der HBK Saar begann. Sie studierte bei Bodo Baumgarten, Ulrike Rosenbach und bei der Videokünstlerin Jill Scott, die in den 1990er-Jahren als Gastprofessorin an der HBK lehrte.

Frühe Arbeiten von Huppert, die im Rahmen des Künstlerbundes ausgestellt wurden, zeigen Druckgrafiken zwischen Abstraktion und Gegenständlichkeit. Die mehrjährigen Auslandsaufenthalte prägten Hupperts künstlerische Entwicklung und veränderten ihre Arbeit. Ihre Werke bereicherte sie nicht nur durch Elemente anderer Kulturen, sie arbeitet inzwischen in einem interkulturellen gesellschaftspolitischen Kontext. Nicht selten spielt das partizipatorische und interdisziplinäre Moment eine wesentliche Rolle. Huppert arbeitet mit Performance und Video sowie Installation, nicht selten mischt sie diese Medien auch in ihren Arbeiten. Kunst und Leben sind bei Huppert eng verknüpft und ihre Arbeit immer wieder autobiografisch, etwa in der kleinformatigen Gemäldeserie „Plugin“, in der sie das Thema Mutterschaft verarbeitet.

Anfangs noch streng im Naturalistischen verhaftet, wurden ihre malerischen Werke Anfang der 2010er-Jahre freier und expressiver im Ausdruck. Die Farben sind in wildem Gestus an die Wand „geworfen“, Farbspritzer und Laufnasen vermitteln den Eindruck emotionalen Farbauftrags. Die Farben wurden kräftiger, die Bildkomposition war zu diesem Zeitpunkt aus Versatzstücken zusammengesetzt, wirken fast ephemer wie ein flüchtiger Einblick in die Gedankenwelt der Künstlerin. Immer wieder verbindet Huppert (Wand-) Malerei und Video, etwa in der Arbeit „Moving Identity“, die sich mit Identität im Kontext von Migration auseinandersetzt. Während das Wandbild Migration emotional aufgreift, zeigt das Video mehrere Interviews, die während Hupperts Reisen entstanden. Die Protagonist:innen wurden gebeten, sich eine Situation vorzustellen, in der ihre Heimat verlassen müssen.

Seit 2013 arbeitet Huppert immer wieder auch in der Justizvollzugsanstalt Saarbrücken mit Gefangenen. Gemeinsam mit den Insassen gestaltete sie die Innenräume teilweise mit Wandbildern neu und dekorierte damit nicht nur den kühlen Funktionsbau in warmen Farbtönen, sondern nutzte die Gelegenheit zur künstlerischen Intervention im Raum. Sie thematisierte die Ausgrenzung der Inhaftierten und gab ihnen die Möglichkeit zum Ausdruck der eigenen Gefühle hinter Gittern. Auch mit Flüchtlingen arbeitet sie, auch hier spielt das Thema Identität eine wesentliche Rolle. Zwischen 2015 und 2017 entstand eine starke Serie von Videoarbeiten.

Mit „Kali“, „Milkyway“ und der „Hydra“-Reihe stellt sie sich und ihren Körper schonungslos dar und feiert die Weiblichkeit und das Frausein. Während die Hydra-Videos eine kurze Videosequenz mit Trommeln der brasilianischen Candomblé-Kultur und der Künstlerin zeigt, deren Kopf als Fingerpuppe herhalten muss, sind, wird und ein wenig an Traumsequenzen von Reisen erinnern, ist die Künstlerin in „Milky Way“ (2016) als göttliches Wesen unterwegs, das aus seinen Brüsten Früchte und Tiere „spritzt“. Es ist eine Anspielung auf die mythologische Entstehung der Milchstraße, bei der die Göttin Hera Muttermilch verspritzt haben soll. Auch im hinduistischen Schöpfungsmythos spielt die Milch als Ursuppe eine weitreichende Rolle. In „Kali“ ist Huppert als die gleichnamige hinduistische Göttin präsent. Sie ist zugleich göttliche Mutter, Erneuerin und Beschützerin, aber auch Göttin der Zerstörung und des Todes. Bei Huppert wird sie zum brüllenden Zwitterwesen inmitten von Panzern und Waffen. Die vielschichtige Installation spielt mit alten Mythen und Figuren genauso wie mit Weltkulturen und westlicher Moderne.

Als die Corona-Pandemie das künstlerische Leben weitgehend einschränkte und Huppert viele Projekte nahm, entschied sie sich dafür, sich nicht zu verkriechen, sondern forderte ihre saarländischen Künstlerkolleg*innen auf, ihr Kunstwerke zu schicken, aus denen sie den Film „Nachtruf – drive in art – die Kunst lebt – Grenzenlos“ schnitt und im Sommer 2020 im öffentlichen Raum zeigte. In den Bildern der letzten Jahre zeigt sie vor allem Porträts, die Menschen in Schwarz vor poppig-farbigen Hintergründen zeigen. Die Hintergründe sind diffus, die Menschen in Schablonentechnik scharf gezeichnet.

Bei der SaarART zeigt Huppert zwei Arbeiten in der Städtischen Galerie Neunkirchen. Die Idee zu der Videoarbeit hat sie vor einigen Jahren bei einem Aufenthalt in Brasilien. Sie befragt dunkelhäutige Brasilianer zu ihrer Meinung und ihren Erfahrungen zur Hautfarbe und dem Rassismus. Lange blieben die Videos unbearbeitet, nun hat sie die Reihe mit Interviews in Deutschland vervollständigt. Es ist ein spannendes, weil authentisches Werk. Huppert lässt Menschen mit Rassismuserfahrungen zu Wort kommen, die selbst stolz über die Hautfarbe sind und zugleich berichten, wie sehr sie dafür gedemütigt werden. Dass aber auch Menschen mit rassistischen Erfahrungen nicht frei sind von Xenophobie und Rassismus zeigt ein palästinensisch-stämmiger Deutscher, der sehr frei erzählt und dabei nicht selten sein Denken offenbart. Es ist kein böswillig abwertender Rassismus, den er da beschriebt, aber ein naives Denken, das nicht frei ist von Ressentiments und dem Glauben, dass sich Kulturen nicht mischen können oder sollten. Und doch machen ihn Hupperts Nachfragen und ihre Meinung nachdenklich. Es scheint so, als würde er zum ersten Mal seine eigenen Gedanken hinterfragen. Auch wenn er eine dunkle Sonnenbrille trägt, merkt man ihm die Überraschung und die Nachdenklichkeit an. Sein gespielt lässiger Machismo bekommt Risse.

Dazu stellt Huppert mehrere 10 Meter lange Papierbahnen, die sich mit den Themen Asyl, Migration und Xenophobie beschäftigen. Sie kombiniert eine Fülle von sehr unterschiedlich ausgeführten Porträts mit schriftlichen Zitaten.

Auch diese Arbeiten sind nicht frei von autobiographischen Bezügen. Die Künstlerin selbst wurde 1960 als Tochter eines US-amerikanischen Soldaten und einer Deutschen geboren. Man kann sich unschwer vorstellen, welchem Druck Huppert als Kind ausgesetzt war. Nicht nur, dass sie ein Kind des „Feindes“ war, sondern sie wuchs im miefigen Nachkriegsdeutschland als uneheliches Kind auf. In den 1960er Jahren war ihr Vorname noch selten in Deutschland und so wurde spätestens bei der Namensnennung offenbar, dass die Künstlerin einen Migrationshintergrund hat.Huppert kann also durchaus nachfühlen, wie sich Ausgrenzung und Demütigungen aufgrund von Stereotypen anfühlen. Da sie ihren Vater nie kennengelernt hat, blieb da stets ein nicht stillbares Verlangen auf der Suche nach der eigenen Identität. Ihre vielen Reisen offenbaren nicht nur große Neugier auf die Welt, sondern auch eine rastlose Suche nach sich selbst. Huppert Biographie erklärt aber auch ihre Themen und ihr große Empathie für Menschen, die in dieser Gesellschaft nicht der Norm entsprechen. Immer wieder entlarvt sie gesellschaftliche Entwicklungen ohne erhobenen Zeigefinger.

Website: http://www.leslie-huppert.de

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