Bettina van Haaren, Wolfgang Folmer, Detail aus "Bestimmtheit der Strudel", Wandzeichnung, Acryl auf Dispersionsfarbe, 2023
Bettina van Haaren, Wolfgang Folmer, Detail aus "Bestimmtheit der Strudel", Wandzeichnung, Acryl auf Dispersionsfarbe, 2023
26. Mai 2023

„Ich will von mir erzählen“

Bettina van Haaren und Wolfgang Folmer erschufen eigens für die SaarART 2023 in der Modernen Galerie eine große Wandzeichnung. es ist ein Meisterwerk geworden.

Die „Bestimmtheit der Strudel“ ist nach „Mach doch mal die Sitzheizung aus“ (Schwäbisch Hall), „Du wirst schon sehen, ich atme kaum“ (Saarlouis) und „Wolkenschlag“ (München) die vierte gemeinsame Arbeit von Bettina van Haaren und Wolfgang Vollmer innerhalb weniger Monate. Die Entwicklung dieser Zusammenarbeit ist hochspannend. In der ersten gemeinsamen Arbeit vom März 2022 stehen die Werkkomplexe der beiden sich zwar inhaltlich nah, doch die Form ist grundverschieden. Während van Haaren figurative „Kritzeleien“ scheinbar skizzenhaft auf die Wand bringt, sind Folmers Anteile am Gesamtwerk präzise detailreiche Umrisszeichnungen von Alltagsgegenständen und Spielzeugfiguren in einer beängstigenden Szenerie. Während sich Folmers Werk recht schnell erschließt, muss man sich van Haarens Zeichnungen visuell erarbeiten. Dieses Nebeneinander führt zu einem spannungsreichen Bild. Schon bei der nächsten Arbeit in Saarlouis schoben sich die Ebenen der beiden ineinander und auch bei der nächsten Arbeit setzte sich dieser Trend fort.

Mit „Bestimmtheit der Strudel“ erreicht das Werk von van Haaren und Folmer einen ersten deutlichen Höhepunkt. Inhaltlich und formal ist hier erstmals ein wirkliches Miteinander entstanden. Es ist auf den ersten Blick kaum noch auszumachen, wer was erdacht hat. Nur Reste von Folmers naturalistisch gezeichneten Dingen sind vorhanden: es sind Waffen. Wer seine Arbeit kennt, weiß auch, dass die Berglandschaften von ihm stammen und natürlich sind Formales und Inhalt von van Haaren erkennbar, etwa die weibliche Figur im Zentrum. Doch erstmals verweben die beiden ihre Arbeiten miteinander.  Gezeichnet wurde von Vorlagen, die von Folien auf Overhead-Projektoren an die Wand projiziert wurden. Aber es ist keine 1:1-Umsetzung eines vorher fertig geplanten Entwurfs. Während des Zeichnens an die Wand werden Ausschnitte aus den Arbeiten genutzt, zusammengesetzt, überprüft und ergänzt.

Entstanden ist ein barock anmutendes Triptychon einer Welt in Auflösung – voller Waffen und Gewalt. Selbst die für sich gesehen pittoresken Gebirgslandschafen von Folmer wirken bedrohlich, wohl vor allem durch die Wolken-Formationen. Putten und Madonnen bevölkern die Bilder, aber auch Schweine und Nazis. Den Werken immanent ist das Fragmentarische, das Brüchige der Erzählung. Es geht um Themen wie Krieg und Gewalt, um Sexualität und Alter, um Schönheit und Vergänglichkeit. Gespeist werden die Bilder immer vom eigenen Erfühlen von Körperlichkeit, Landschaft oder Tieren und Umgangserfahrung der Künstler mit den Sujets oder wie es Bettina van Haaren ausdrückt: „Ich will keine Distanz, ich will von mir erzählen.“ Das Werk ist zeichnerischer Ausdruck von Folmers und van Haarens Erleben unserer Welt.

Verbindendes Element in der der Arbeit von Bettina van Haaren und Wolfgang Folmer ist die Linie. Obwohl es manchmal anders scheint, ist Folmers Strich wesentlich freier, gestisch und skizzenhaft, während van Haaren eher bedächtig und kontrolliert mit viel Ruhe arbeitet und den Strich sorgsam abwägt. Immer sind die gemeinsamen Arbeiten in Schwarzweiß gehalten, weil, so drücken es die beiden aus, Farbe das Bild zu sehr verfestigen würde. Gemeint ist damit, dass Farbe zu Hierarchie führen würde. Unser Auge nimmt Farbe schneller wahr als detailreiche schwarze Zeichnungen auf einer weißen Wand. Somit wäre der Blick des Betrachters festgelegt, die Elemente der Zeichnung nicht mehr gleichwertig.

Der Titel der Wandzeichnung ist sorgsam gewählt. „Bestimmtheit der Strudel“ beinhaltet einerseits das Wort Bestimmtheit, das für die Künstler ein Einfrieren von Bewegung bedeutet. Es gibt keinerlei Unschärfen. Der „Strudel“ ist anderseits Bewegung und ein Sog, dem man nicht entkommen kann. Einen besseren und deskriptiveren Titel hätte man kaum finden können, denn beim Betrachten wird man gedanklich tief in das Bild gesogen.

Die Bilder entstehen in einem konstruktiven Miteinander, leben aber gerade vom Gegeneinander, vom Widerstand und dem Aushalten der Arbeit des anderen. So sind in van Haarens Zeichnungen und Gemälden große Leerstellen und das Weiß allgegenwärtig, doch Folmer bricht immer wieder in diese Räume ein, füllt sie und doch muss er das Weiß von van Haaren immer wieder aushalten. Solche Gegensätze können schief gehen, wenn sie gar nicht mehr respektiert werden, doch die beiden gehen sehr sorgsam miteinander um und hier funktioniert es wunderbar. Letztlich ist in den Werken nichts zufällig, jeder Strich ist kalkuliert und hat eine Funktion: selbst die kurzen Linien in den Zwischenräumen sind nicht bloße „Dekoration“, sondern verbinden, füllen, lassen weg oder führen eine Bewegung im Bild fort.   

Bettina van Haaren

Bettina van Haaren, Foto: Wolfgang Folmer
Bettina van Haaren, Foto: Wolfgang Folmer

Bettina van Haaren (geb. 1961 in Krefeld) studierte von 1981 bis 1987 Kunst an der Kunsthochschule in Mainz. Mehr als 25 Jahre lebte sie im Saarland und nimmt seit 1987 an den Landeskunstausstellungen teil. Im Jahr 1999 erhielt sie einen Lehrauftrag in Mainz, seit dem Jahr 2000 lehrt sie als Professorin für Zeichnung und Druckgrafik an der Technischen Universität Dortmund.

Van Haaren begann in den 1980er-Jahren mit einer figurativ-gestischen Malerei, die sehr emotional wirkt. Seit den 1990er-Jahren entwickelt die Künstlerin ihren heutigen Stil. In ihren Werken fallen sofort die ausgedehnten weißen Flächen der Leinwand auf, welche die Gemälde unfertig erscheinen lassen. Alle Bildgegenstände werden im Atelier direkt untersucht; nie gibt es fotografische Vorlagen. Immer ist das Selbstbild der Künstlerin zentral, in Körperteilen, häufig in realistischem Duktus, manchmal auch als skizzenhafte Erscheinung. Die im Bild versammelten Objekte und Personen scheinen wahllos versammelt, wie Fragmente aus Träumen. Entastete Nadelbaumstämme stehen leicht gekippt im Bild. Schweine oder Pferde liegen herum, textile Gewebe, Folien und Tüten schimmern im Licht, Spielzeugsoldaten sind über die Bildfläche verteilt. Dort, wo sich Dinge überlappen, lässt van Haaren weiße Umrisse stehen und vermittelt so den Eindruck einer Collage. Vorzeichnungen bleiben als „Denkstriche“ erhalten. Die scheinbar willkürliche Anordnung lässt keine ikonografischen Schlüsse zu. Die einzelnen Elemente sind offensichtlich aufeinander abgestimmt, doch sie erzählen dem Betrachter keine Geschichte und bleiben rätselhaft.

Getrieben von einem inneren Ordnungssinn und der Auseinandersetzung mit sich selbst und ihrer Umwelt erforscht die Künstlerin ihre Welt. Die Bilder sind keine narzisstische Selbstbespiegelung, sondern Ausgangspunkt für eine Erkundungsreise durch Gedankenlandschaften, ob aus dem Alltag, den Medien, der Natur oder der Kunstgeschichte. Fasziniert von Oberflächen arbeitet van Haaren mit einem breiten Repertoire aus skizzenhaften Schraffuren, Umrissen, hyperrealistischer Malerei und expressiver Farbwahl. Ihre Bilder sind handwerklich meisterlich, weil van Haaren eine der wenigen Künstlerinnen ist, die nicht der modernen Acrylfarbe erlegen ist, sondern Ölfarbe und Eitempera benutzt, die den Bildern einen besonderen Glanz verleihen. Neugierig untersucht die Künstlerin den eigenen Körper. Mit den breiten Schultern, dem quadratischen Schädel und dem gedrungenen Körperbau wirkt sie oft androgyn. Es gehört nicht wenig Mut dazu, sich so konsequent tradierten Idealen von Schönheit und Weiblichkeit zu entziehen. Ihr Themenspektrum hat sie stetig erweitert. In den 1990er-Jahren waren es vor allem Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft, mit denen sich die Künstlerin auseinandersetzte. In den letzten Jahren rückte zunehmend der Prozess des Älterwerdens sowie Vergänglichkeit und Verlust in den Mittelpunkt des Schaffens. Auch aktuelle Themen wie Krieg, Corona-Pandemie und die Zerstörung der Natur werden „dinghaft“.

In Zeichnung und Druckgrafik setzt sich van Haaren mit denselben Themen auseinander, die Werke sind jedoch linearer, fragiler und stärker fragmentiert. Die grafischen Medien sind eigenständig und gleichzeitig Impulsgeber für die Malerei und die großen Wandprojekte.

Wolfgang Folmer

Wolfgang Folmer, Foto: Bettina van Haaren
Wolfgang Folmer, Foto: Bettina van Haaren

Obwohl Wolfgang Folmer aus dem Saarland stammt, ist er hierzulande kaum bekannt. Mit dieser SaarART wird sich das hoffentlich ändern.  Folmer wurde 1960in Merzig geboren und wuchs von 1960 bis 1974 in Großrosseln auf. Nach einer Ausbildung zum Maschinenschlosser und Wagenmeister arbeitete er in seinem erlernten Beruf und besuchte die Abendschule. In den Jahren 1985/86 besuchte er die Fachoberschule für Design in Saarbrücken, dann 1986/87 die Freie Kunstschule Stuttgart und studierte anschließend von 1987 bis 1993 Freie Grafik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bei Dieter Groß und Rudolf Schoofs, bei dem er anschließend bis 1995 auch Meisterschüler war. Schon während des Studiums beschäftigte er sich auch mit Malerei, Video und Musik.

Auch wenn Folmer in den 1990er und 2000er Jahren immer mal mit Malerei und Druckgrafik arbeitete und bis heute gelegentlich Videoarbeiten schafft, steht die Zeichnung im Mittelpunkt seines künstlerischen Schaffens. Dabei bewegt er sich sehr unterschiedlich. Da ist einerseits der schnelle, fast skizzenhafte gestische Strich, mit dem er Ansichten von Gebirgslandschaften schafft und andererseits und präzisen Vektorgrafiken von banalen Alltagsgegenständen und Spielzeug(-figuren). Immer wieder arbeitet Folmer projektbezogen, etwa als er 2019 die Oberfläche eines Klaviers im Holzschnittverfahren mit Schriften überzieht. In den Jahren zuvor hatte er Ähnliches mit Holzstämmen gemacht und mit dem Schnitzwerkzeug auf schwarze Sperrholzplatten gezeichnet.

Bei der SaarART 2023 zeigt Folmer noch einen weiteren Aspekt seines künstlerischen Schaffens. Schon seit vielen Jahren fotografiert Vollmer auch. Nachdem er sich in den 1990er Jahren intensiv mit der Fotografie beschäftigt hatte, gab Folmer das Medium lange auf, ehe er 2018 wieder begann, Landschaften und deren Spiegelungen im Wasser festzuhalten. Einen qualitativen Sprung macht seine Fotografie während der Corona-Pandemie. Während der Ausgangssperre 2020 entstehen riesige Panoramen von Städten und Industriekomplexen, etwa von dem BASF-Werk in Ludwigshafen, dem Bosch-Werk in Albstadt oder dem Ingolstädter AUDI-Werk. Während der Ausgangsverbote 2021 schleicht Folmer nachts durch Walldorf, wo er sich zu diesem Zeitpunkt wegen eines Atelierstipendiums aufhält. Es entstanden Fotografien von Gebäuden, Park- und Sportplätzen, die in der Dunkelheit nicht nur zu leuchten scheinen, sondern deren intensive Farben fast schon glühen. Eine besondere Ästhetik wohnt den Bildern inne und Folmer beweist, dass er nicht nur ein grandioser Zeichner ist, sondern auch ein hervorragender Fotograf.

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